Der Autor im Elfenbeinturm

Lukas Bärfuss lästert wieder: Der bekannte Schweizer Autor lässt in einem Spiegel – Artikel kein gutes Haar an seiner Heimat und ihren Umgang mit der Coronakrise. Treffen seine scharfen Vorwürfe zu? Der Versuch einer Antwort.

By Fräulein Lama

https://www.spiegel.de/kultur/coronavirus-in-der-schweiz-das-kapital-hat-nichts-zu-befuerchten-der-mensch-schon-a-484d83a8-330e-4b24-a218-3a34494b8c41

 

Lukas Bärfuss hat über die letzten Jahre seinen Ruf als unbequeme Stimme der Schweizer Literaturszene gefestigt. Bemerkenswert dabei ist, dass er das Kunststück zustande bringt, sich als von der Heimat verstossenen Schriftsteller zu inszenieren, obwohl er hierzulande wohlgelitten ist, gefördert wurde und renommierte Literaturpreise abgesahnt hat. 2015 sorgte er vor den Parlamentswahlen mit seinem Artikel „Die Schweiz ist des Wahnsinns“ in der „Frankfurter Allgemeinen“ für Furore. In diesem malt er ein düsteres Bild von der europafeindlichen Schweiz, in der jeder nur an sich selber denkt und in der alle kritische Stimmen mit Morddrohungen rechnen müssen.

Zwei Jahre später behauptete er, der „Schweizer Buchpreis“ sei nicht mehr glaubwürdig, weil der Schweizerische Buchhändler und Verlegerverband zu viel Einfluss auf die Verleihung habe und dabei ausschliesslich ökonomische Interessen verfolge, letztendlich also nur Bücher nominieren wolle, die verkaufsfähig seien (Bärfuss erhielt den „Schweizer Buchpreis“ 2014 zwar selber, aber wahrscheinlich hatte die Jury da lediglich einen lichten Moment in ihrer kapitalistischen Umnachtung).

Lukas Bärfuss packt gerne den literarischen Zweihänder aus und schlägt mit ganzer Kraft zu, wenn er seine Meinung kundtut. Beim Lesen seiner Texte muss wohl manch durchschnittlich gebildete Seele, hin und wieder zum Fremdwörterbuch greifen, denn Bärfuss eskaliert beim Schreiben gerne. Sein Schreibtalent ist unbestritten. Dass er mit manchen Dingen durchaus Recht hat, ebenso.

Differenziertheit fehlt ihm leider. In seinem Artikel zum Coronavirus stellt Bärfuss die These auf, dass in der Schweiz bald dieselben Zustände herrschen werden, wie in Italien. Wobei er es nicht als These bezeichnet, sondern als unumstössliche Tatsache und absolute Wahrheit. Lukas Bärfus ist zwar weder Arzt, noch hat er Epidemiologie studiert und meines Wissens nach, ist er auch kein Virologe, aber offenbar ist er in der Lage, das zu tun, woran alle vorherig genannten Experten – und Expertinnen scheitern: Exakte Prognosen zu stellen.

(Ich staune ohnehin immer wieder über das ausserordentliche Talent der schreibenden Zunft, immer genau zu wissen, was richtig ist. Mit welcher Vehemenz auch jetzt in der Krise da Behauptungen und Theorien aufgestellt werden, ohne wirkliche Angaben von Quellen ist wirklich phänomenal. Und das Tolle daran: Auch wenn sie völlig falsch damit gelegen sind, hält es kaum jemand für nötig zu schreiben: Ups, da habe ich mich wohl verrechnet.)

Aber trotzdem, bis hierhin kann man Bärfuss noch folgen, denn die Befürchtung, dass die Schweiz denselben Coronaverlauf durchmacht, ist  berechtigt. Auch die pauschale Behauptung, die Schweiz sei schlecht auf die Pandemie vorbereitet gewesen, kann man insofern noch nachvollziehen, dass der Fachkräftemangel in der Pflege seit Jahren ignoriert wurde und das nicht genügend Schutzmaterial für das Pflegepersonal vorhanden ist. Allerdings hat die Schweiz in der Vergangenheit  sehr solche Szenarien durchgespielt. Was man daran sieht, dass die Regierung schliesslich nicht kopflos irgendwelche Entscheidungen trifft, sondern  eine Strategie verfolgt. Ob diese aufgeht, werden wir erst am Ende der Krise wirklich sagen können.

Völlig ausser Acht lässt Bärfuss in seiner Manöverkritik, dass andere Länder noch wesentlich schlechter vorbereitet sind. In der Schweiz herrschte bereits ein Versammlungsverbot, als unsere Nachbarn, die Deutschen noch fröhlich Fussballspiele veranstalteten. Boris Johnson, Premierminister von Grossbritannien hielt das Virus vor zwei Wochen noch für einen Witz. Für Amerika unter Donald Trump war Corona lange Zeit lediglich eine Irritation, die man getrost ignorieren konnte. Diesen Blick über die Grenzen braucht es, um das Vorgehen der Schweiz einzuordnen. Da Bärfuss das nicht macht, entsteht der Eindruck, alle anderen Länder hätten das Virus im Griff. Das ist eben das Ding mit diesem Virus. Es gibt keine Gebrauchsanweisung dazu.

Zum Verschwörungstheoretiker wird Bärfuss dann endgültig, als er den Behörden vorwirft, sie würden dem Volk bewusst Informationen vorenthalten und uns in falsche Sicherheit wiegen. Das übergeordnete Ziel sei es, die Wirtschaft aufrecht zu erhalten und dafür würden eben auch Menschenleben geopfert, so der Tenor von Bärfuss. Er stört sich an der Kommunikation des Bundes. An Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, die die Bevölkerung darum bittet, auf die Jassrunde zu verzichten. An Daniel Koch, der europäische Studien zitiert, die ausweisen, dass Kinder keine Virenschleudern sind. Man verfolge eine Strategie der maximalen Eindämmung von Informationen, unkt Bärfuss.

Wie genau er zu dem Schluss kommt und welche Informationen er denn hat, die uns von der Regierung vorenthalten werden: Man weiss es nicht. Was genau Bärfuss von der Regierung erwartet, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Dass der Bundesrat der Bevölkerung zuruft: „Lauft!“? Dass Simonetta Sommaruga vom Krieg spricht, wie Macron? Dass Daniel Koch die Kinder einsperrt? Fakt ist: Es gibt Dinge, die auch beim Bund niemand weiss. Weil das nämlich keine Hellseher sind. Und dass der Bund jetzt nicht jede halbgare Theorie gleich der ganzen Bevölkerung mitteilt ist irgendwie auch nachvollziehbar. Was der Bund aber tut: Er informiert täglich. Und ja, er tut das mit einer gewissen Gelassenheit. Weil er keine Panik verbreiten will. Für Apokalypsespezialist Bärfuss, für den die Welt nicht schwarz – weiss, sondern rabenschwarz ist, natürlich schwer verständlich.

Kapitalismuskritik liegt in dieser Zeit nahe und sie ist auch berechtigt. Nur, müssen wir uns alle klar sein, dass wir jetzt gerade dieses System haben und das nicht heute oder morgen ändern können. Viele Menschen werden gerade von Existenzängsten geplagt, wissen nicht wie sie die nächsten Wochen finanziell überstehen sollen oder ob sie ihr Geschäft weiterführen können. Daher spielt die Wirtschaft bei allen Überlegungen eine Rolle. Weil wir dummerweise von ihr leben. Und ja, auch aus meiner Sicht, legte man den Fokus eine Spur zu sehr auf den wirtschaftlichen Sektor. Dem Bund vorzuwerfen, er habe nur die Wirtschaft im Auge und lasse dafür Menschen über die Klinge springen, geht jedoch zu weit.

Damit tut man insbesondere auch dem BAG Unrecht. Daniel Koch – der von Bärfuss nie namentlich genannt, sondern stets verächtlich als Chefbeamter verzeichnet wird – ist übrigens Arzt und war lange Zeit für das IKRK in Kriegsgebieten unterwegs. Man mag mich für naiv halten, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass ein solcher Charakter, der sein Leben für andere riskiert, schulterzuckend über Leichen geht.

Für Lukas Bärfuss ist jedoch sonnenklar, dass man die Baustellen hauptsächlich deswegen noch offen lässt, weil da ja sowieso hauptsächlich Ausländer – und Ausländerinnen arbeiten würden. Für ihn ist auch völlig klar, dass die Schweiz deshalb anfing Medikamente zu rationieren, weil nicht genug vorhanden sind (eigentlich hat man das gemacht um Hamsterkäufe zu verhindern, aber ist ja egal) und dass die Schweiz verantwortungslos handelt. Dass ganz Europa gerade unter dem Virus ins Taumeln gerät, ignoriert Bärfuss. Erstaunlicherweise klammert er das eigentlich skandalöse Thema auch komplett aus: Die Flüchtenden, die gerade in Griechenland die Hölle durchleben und an die kaum jemand denkt. Vielleicht erwähnt er es deshalb nicht, weil er da Europa in die Verantwortung nehmen müsste und nicht nur die Schweiz anprangern könnte.

Lukas Bärfuss‘ Kritik ist nie grundsätzlich falsch. Die kompromisslose Art in der er sie äussert und die Erbarmungslosigkeit, die er gegenüber der Schweiz an den Tag legt, macht es einem leider schwer, sie anzunehmen. Dass er mit seiner Kritik nicht gewartet hat, bis die Krise einigermassen überstanden ist, sondern mittendrin noch mehr Feuer anzünden muss, hat damit zu tun, dass Bärfuss noch nie ein sonderlich gutes Gespür für Menschen hatte. Man hatte in der Vergangenheit immer wieder das Gefühl, dass Bärfuss Menschen nicht einmal besonders mag.

Lukas Bärfuss ist aber auch ein anschauliches Beispiel für den Intellektuellen, der in seinen Elfenbeinturm sitzt, die Welt fest im Blick hat…und doch nicht wirklich Energie darauf verwenden will, sie besser zu machen, sondern lieber genüsslich in ihrem Elend schwelgt.

Schade.

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