Schimpfwörter sy Glücksach

Gschtürm vorem Bundeshus

By Christoph Salm

„Ä Löu, ä blöde Siech, ä Glünggi u ä Sürmu……….“ Schon in meiner Jugend hat mich Mani Matters Liedgut fasziniert. Es gibt seither immer wieder Momente und Situationen, die mich an die Texte des legendären Berner Troubadours denken lassen und ich staune wie zeitlos seine Lyrik ist.

Rückblick auf die vergangene Woche: Klimaaktivist/innen besetzen den Bundesplatz während der Session der eidgenössischen Räte. Die Nerven liegen blank. PolitikerInnen geraten sich in die Haare. Kontrollverlust. Schimpftiraden.

Der globale Klimawandel verlor seit Beginn der Corona-Krise mediale Aufmerksamkeit. Plötzlich macht nun die ökologische Bedrohung wieder Schlagzeilen. Klimaaktivisten/innen, die den Bundesplatz letzte Woche in einem Akt zivilen Ungehorsams besetzten  und  Exponenten der eidgenössischen Politik, die sich über die Aktion der zumeist  jugendlichen Demonstrierenden gehörig aufregten, sorgen zur Zeit für Stimmung. Es kam vor laufenden Fernsehkameras zu roten Köpfen und verbalen Auseinandersetzungen. Einige Volksvertreter/innen liessen sich von der anwesenden Presse nicht abhalten, resp. nutzten die Bühne,  um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Sie liessen dabei wahrlich ihre Gesichtsmasken fallen.

In Mani Matters  Liedli geraten sich  vier Streithähne  in die Haare weil „dr Glünggi“ zum „Löu“ sagt, dass er e „blöde Siech“ sei. Und „dr Löu“ weiss nichts Gescheiteres als dies dem „Sürmu“ weiterzuerzählen. Die Situation eskaliert als der „blöd Siech“ dem „Löu“ sagt, dass er „e Löu“ sei. Diese unbestreitbare Wahrheit war dann doch zu viel und es kam  zum Tumult.  Der Löu „hout em blöde Siech eis um d Ohre, dass es blüetet“. Die vier Hitzköpfe „hei di ganz Nacht lang gschleglet bis am andere Morge früech“. Zu blutigen Köpfen  kam es am vergangenen Mittwoch in Bundesbern dann doch nicht. Wie, wann und wo sich die eidgenössischen Streithähne und -hühner beruhigt haben ist mir nicht bekannt. Aufgefallen  ist mir die etwas grobe Umgangssprache an nobler Adresse. Waren es seinerzeit „e Löu, e blöde Siech, e Glüggi un e Sürmu“ sind es heute „Arschlöcher, Arschl..s, huere fucking Gl….rs usw.. Mani hätte sich mit diesem Vokabular wohl nicht vor das Portal des Bundeshauses gewagt, geschweige denn vor  die „Kinder“ auf dem Bundesplatz. Politiker/innen verschiedenster Couleur und  Klimaaktivist/innen sind die Parteien im Gschtürm vorem Bundeshus. Das von verschiedenen Seiten als  vernünftig beurteilte Eingreifen der Ordnungshüter und der passive Widerstand der Demonstrierenden bewahrte den Bundesplatz wohl vor Krawallen. Heutzutage kann man ja  bequem  online weiterstreiten.  Facebook, Instagram und Co. bieten geeignete Plattformen, um die verschiedenen Meinungen mehr oder weniger gesittet  auszutauschen. Im und ums Bundeshaus ist es wieder ruhiger geworden, die Session konnte regulär beendet werden. Noch suchen die Einen nach Sanktionsmöglichkeiten, während die Andern die Ereignisse analysieren. „Warum ist die Politik so nervös?“ titelt die Berner Zeitung am 24.9.2020 einen Artikel zum Klimaprotest auf dem Bundesplatz. „Ist es die Formkrise der SVP“  oder „kämpfen da Männer, die verzweifelt die patriarchale Ordnung verteidigen und sich von Jugendlichen (und von Frauen ) nicht sagen lassen, was Sache ist“; das sind die Fragen von NR Regula Rytz (Grüne). NR Tamara Funicello (SP) vermutet „diese Männer spüren Druck, der immer grösser wird“ und NR Mattea Meyer (SP) findet, dass wir uns in einer „Empörungshysterie“ befinden. Es ist unbestritten, dass die Aktion auf dem Bundesplatz illegal und daher nicht akzeptierbar war. Die Stadt hat verhalten und vielleicht etwas behäbig  reagiert.  Dass die ganze Geschichte kurz vor den Berner Gemeindewahlen für Wahlkampf-Munition sorgen würde, war voraussehbar. Fleissig nehmen nun die PolitikerInnen die Möglichkeit wahr, ihre Positionen lauthals „herauszuposten“. Es bleibt die Hoffnung, dass sich die verschiedenen Parteien nach dem  Abzug des Pulverdampfes wieder im vernünftigen Gespräch finden werden. Denn es ist ebenfalls unbestritten, dass die Themen der sog. Klimajugend von globaler Bedeutung sind. Ihre Anliegen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, gilt es ernst zu nehmen.  Selbst UNO-Generalsekretär Antonio Gutteres warnte im Januar 2020 schon fast verzweifelt „our planet is on fire“. Nun  müssen Alte und Junge, Linke, Mitte und Rechte, Frauen und Männer zusammen mit der Weltgemeinschaft rasch nach Lösungen suchen und diese realisieren. Die Zeit drängt.

Ich finde, es gibt eine gewisse Parallelität zur aktuellen Corona-Krise. Wir haben die Lösung noch nicht,  müssen aber unbedingt einen Ausweg aus der unangenehmen und bedrohlichen Situation finden. Bekanntlich sind wir in Sachen Corona unterwegs nach Marathon. Das Ziel ist definiert, es besteht durchaus Hoffnung auf die Bewältigung der Pandemie. Der Klimawandel stellt eine ungleich grössere Herausforderung dar. Das ganz grosse Ziel, unseren Planten auch für die kommenden Generationen lebenswert zu erhalten, ist bekannt. Der Weg dorthin ist sehr lang und wohl auch beschwerlich. Es wird ein Dauerlauf, ein Mega-Gigathlon. Dieser wird uns Intelligenz, Kraft, und Ausdauer abverlangen. Die aufmüpfige Jugend treibt uns an, sie ist aber eingeladen, ebenfalls mitzurennen.

 

CS 9/2020

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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