Das Monster im Weiher

Prolog

Eine Spaziergängerin erlebt eine böse Überraschung

By Fräulein Lama

Die Schatten im Wald schienen zu tanzen.

Sabina Hofer zog ihre Schultern hoch und unterdrückte ein Schaudern. Vor einer Stunde hatte sie es noch als grandiose Idee empfunden, nachts im Wald spazieren zu gehen. Endlich Stille nach diesem hektischen, lauten Tag, hatte sie gedacht. Schliesslich war es Sommer und jeder Spaziergang im glühend heissen Sonnenlicht war zur Qual geworden. Ein Waldspaziergang im kühlen Mondlicht dagegen…

Jetzt verfluchte sie ihren Einfall. Sicher, der kühle Abendwind tat ihrem migränegeplagten Kopf gut, aber dieser Wald wurde ihr von Minute zu Minute unheimlicher. Die Bäume wirkten auf einmal wie grosse, stumme Wächter, die streng auf sie hinabsahen. Das Plätschern einer naheliegenden Quelle klang wie das Gewand eines Gespenstes, das über das Moos strich. Und jedes Knacken der Zweige schien das Nahen eines Räubers oder eines bösartigen Riesens anzukünden.

„Reg dich ab, Sabina“, beschwor sie sich, „es gibt keine Riesen. Vielleicht irgendwelche Verrückte, die jungen Frauen im Wald auflauern, um sie in einer Waldhütte einzusperren und elend verhungern zu lassen, aber keine Riesen.“ Doch alles was sie mit diesem Gedankengang erreichte, war, dass sich ihr Horrorszenario veränderte. Jetzt sah sie vor ihrem geistigen Auge nicht mehr, wie eine Riesenspinne sie genüsslich verspeiste, sondern wie ein zerlumpter Typ sie an den Haaren über den Waldboden schleifte.

Frodo ahnte nichts von den Ängsten seiner Herrin. Fröhlich schwanzwedelnd lief der Golden Retriever vor ihr her, ein heller Punkt inmitten all der Schatten. Seine Anwesenheit tröstete Sabina ein wenig, auch wenn sie sich keine Illusionen über ihren gutmütigen Hund machte: Frodo würde etwaigen Angreifern die Pfote geben statt sie ordentlich anzuknurren oder gar zu beissen. Oder, was noch wahrscheinlicher war, er würde bei dem Versuch sie zu verteidigen, über die eigenen Schlappohren stolpern. Frodo war herzallerliebst, aber dumm wie ein Butterbrot.

Sabina atmete auf, als sie die Bäume endlich hinter sich lassen konnte. Vor ihr schlängelte sich der Spazierweg, der über die Felder führte. Weiter hinten konnte sie die Strasse sehen und die Silhouetten der Häuser. Auf einmal kam ihr ihre vorherige Furcht geradezu albern vor. Die Zivilisation war schliesslich zum Greifen nahe.

Um ihren neugewonnenen Mut auszukosten, machte sie noch einen kurzen Abstecher zum nahe liegenden Weiher. Dessen Anblick entschädigte sie für die ausgestandenen Ängste. Still und friedlich lag das Wasser da, umkränzt vom Schilf. Das silberne Mondlicht ergoss sich über die Szene und verlieh ihr einen geheimnisvollen Anstrich. Frodo, der Wasser liebte, zerrte ungeduldig an seiner Leine. Sabina zog ihn zurück. „Lass das, ich habe keine Lust dich hinterher von Algen zu befreien“, schimpfte sie. Frodo liess sich geräuschvoll auf den Hintern plumpsen, um seinem Missmut Ausdruck zu verleihen.

Als sie das Rascheln hörte, dachte sie sich erst nicht viel dabei. Sie hielt es für den Wind, der durch das Schilf strich. Erst als Frodo die Ohren aufstellte und sogar leise knurrte, wurde sie stutzig. Der Blick der braunen Hundeaugen war fest auf das Wasser gerichtet, aber Sabina sah beim besten Willen nicht, was Frodo so faszinierte. Die glatte Oberfläche wirkte vollkommen still und unberührt…

Würde der Wind wehen, müsste sich das Wasser kräuseln.

Der Gedanke war wie ein Schlag in die Magengrube. Es ging kein Wind. Das Schilf stand unberührt da. Und doch war da dieses Rascheln, dieses Rascheln, das immer lauter zu werden schien. Was auch immer es war: Es kam näher.

 „Hallo?“, rief Sabina ängstlich. Das Rascheln verstummte jäh. Alles was sie noch hörte, war das hektische Schlagen ihres eigenen Herzens. „Ist da jemand?“, fragte sie und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Wieder blieb es ruhig. Gespenstisch ruhig.

Wahrscheinlich hatte sie sich alles nur eingebildet.

Hastig riss sie an der Leine. „Lass uns gehen“, forderte ihren Hund auf. Je schneller sie hier wegkamen, desto besser. Frodo schien jedoch andere Pläne zu haben. Noch immer starrte er auf das Wasser, die Ohren nach vorne geklappt, den Schwanz hoch aufgerichtet. Sabina zerbiss sich einen Fluch. „Schätzchen, jetzt komm schon“, flehte sie ihn an und griff nach seinem Halsband, um ihn mit Gewalt wegzuzerren.

In dem Moment sah sie es. Einen langgezogenen Schatten, der sich aus dem Schilf löste. Ringe verteilten sich über die vorher so spiegelglatte Oberfläche und wurden grösser und grösser. Sabina war wie gelähmt. Entsetzt starrte sie auf dem Weiher, unfähig auch nur den kleinen Finger zu rühren. Die Umrisse des Schattens wurden deutlicher, klarer in ihrer Kontur. Ein Rücken schälte sich aus der Dunkelheit, ein gebogener Rücken, übersät mit Zacken und Stacheln, aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die glühenden Augen, Augen, in denen das Höllenfeuer gefangen zu sein schien, Augen voller Bosheit und Hinterlist, die sie fixierten. Sabinas Knie wurden butterweich. Die Leine entglitt ihren taub gewordenen Fingern, als sie kraftlos zu Boden sank, unfähig, sich von dem Bann dieser unheimlichen Augen zu befreien.

Und dann öffnete das Untier das Maul. Scharfe Zähne blitzten in der Dunkelheit auf.

Sabina schrie.

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