Irrungen und Wirrungen

Gedanken in unsicheren Zeiten

By Christoph Salm

Jede/r  3. Schweizer*in soll gemäss einer Studie der Zürcher Hochschule ZHAW (Sonntagszeitung 8.11.2020, s. 11) empfänglich für Verschwörungstheorien sein. Unsicherheitsgefühle, die zur Zeit sicher vermehrt auftreten, führen zu Misstrauen gegenüber Institutionen, Politik und Wissenschaft.  Es wird zunehmend schwierig, die komplexen politischen, sozialen,  ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge auch nur annähernd zu begreifen. Die schier unendliche Informationsflut macht es uns nicht einfacher, gilt es doch Qualität und Ramsch  auseinanderzuhalten. Sind wir mit Problemen konfrontiert, kommen sofort die 3W- Fragen: Wer, was, warum?  Es besteht dabei insbesondere das Bedürfnis nach raschen, einfachen und zweifelsfreien Erklärungen. Aktuelle Beispiele sind die Corona-Pandemie, der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und andere politische Konflikte. Wer sind die  Verantwortlichen resp.  die Schuldigen, was steckt dahinter, warum tun sie das?  Die reflexartigen, ideologisch gefärbten,  unkritischen und teils wirren Schuldzuweisungen, die  auf verschiedenen Kanälen herumgeistern, sind gelinde gesagt meist schwer verständlich.

Ja klar, dies und das  haben wir wohl den Linken, den Rechten, den Grünen, den Bürokraten, den Ausländern*innen, dem  Wetter usw. zu verdanken. Bevor Schuldzuweisungen gemacht  und irgendwelche Theorien verbreitet werden,  müsste das Problem aber sorgfältig  analysiert werden. Als Tierarzt lernte ich schon im Studium, gesundheitliche Störungen sowohl beim Einzeltier als auch in Tierbeständen mit einer gewissen Systematik anzugehen. Die erste Herausforderung ist, eine Krankheit erst mal zu erkennen, zu beschreiben und grob einzuschätzen. Danach lässt sich eine vorläufige oder symptomatische Diagnose formulieren.  Abhängig von der Dringlichkeit werden  eine erste Therapie eingeleitet und weitere Abklärungen zur Präzisierung der Diagnose sowie zur Klärung der Ursachen vorgenommen. Einfache Störungen können  rasch diagnostiziert und meist auch erfolgreich therapiert werden. Komplexere Probleme bedingen auch in der Tiermedizin aufwändige weiterführende Zusatzuntersuchungen. Gesundheitlichen Störungen liegen oft mehrere Ursachen zu Grunde, gelegentlich sind diese trotz grossem diagnostischem  Aufwand nicht erklärbar.  Ist man voreilig in der Formulierung von Diagnosen, so besteht das Risiko einer Fehlbeurteilung. Dies wiederum hat Folgen für die Therapie und die prognostische Beurteilung einer Erkrankung. Es empfiehlt sich daher,  vorsichtig zu formulieren und  selbstkritisch zu bleiben. Diese einfache,  systematische Denk- und Arbeitsweise wird selbstverständlich auch in vielen anderen Bereichen des privaten und beruflichen Lebens angewendet. Diejenigen, die sofort mit dem Finger auf mögliche Schuldige zeigen und voreilig vermeintlich einleuchtende Erklärungen verbreiten, machen es sich zu einfach. Das Sars-CoV-2 wurde vom abgewählten US-Präsidenten Trump und anderen als China-Virus bezeichnet, das möglicherweise  aus einem Labor entwichen sei. Gewisse Wirrköpfe wittern Machenschaften interessierter politischer und ökonomischer Kreise. Gezielte Freisetzung des Killervirus zur Destabilisierung der Welt, eine Gelegenheit, die Menschheit zu disziplinieren oder gar zu reduzieren und mit einer Zwangsimpfung riesige Gewinne zu generieren. Als Antreiber werden dubiose Machtzirkel, Geheimdienste, Pharmaindustrie und sogar der Philanthrop und Mäzen Bill Gates verdächtigt. Der Phantasie sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Im Internet verbreiten sich diese   Meinungen, Ideologien und häufig abstrusen Botschaften  in Windeseile.  Heute heisst das: Sie gehen viral. In den meisten Fällen fehlt vor deren Publikation die kritische und sachliche Beurteilung einer Redaktion,  die uns ein seriöses Informationsmedium in der Regel bieten kann.  Als Konsument der üblichen Leitmedien  (Radio, Fernsehen, verschiedene Tageszeitungen print und online) sind mir gewisse Bedrohungsszenarien offenbar  gar nicht bekannt. 

Zweifellos müssen wir täglich mit sehr viel Informationen  zurechtzukommen.  Zunehmend  sind wir damit überfordert. Verweigern können und dürfen wir uns dieser Informationsflut nicht. Wir müssen das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgen und dürfen dafür auch den raschen und günstigen Zugang zu Informationen im Internet nutzen. Dabei müssen wir zwischen Meinungen und Fakten unterscheiden, Qualität von Ramsch trennen und unbedingt die Informationsquellen kritisch beurteilen. Wer sagt was, wann und in welchem Rahmen? Die plakativsten und schrillsten   Rufer*innen verkünden selten ernstzunehmende Inhalte. Ihnen sollten wir nicht unüberlegt als Multiplikatoren dienen. Der US-amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski hat mal gesagt: „Es ist fatal, dass die klugen Menschen voller Zweifel und die dummen voller Selbstvertrauen sind.“ Ich gebe zu, vielleicht bin ich etwas obrigkeitsgläubig. Daher bin ich wohl nach wie vor der Meinung, dass wir mit  kritischer Distanz  Vertrauen  in unsere demokratisch legitimierten Institutionen, in die Arbeitsweise der Wissenschaft und in unsere mehrheitlich vielfältige,  ausgewogene sowie qualitativ gute Presse haben dürfen. Das in einigen Kreisen kultivierte ätzende und manchmal fast paranoide Misstrauen in alle Richtungen empfinde ich als Gefährdung unserer politischen und sozialen Stabilität. 

Jede/r von uns muss seinen persönlichen Beitrag zum Wohlergehen der Allgemeinheit und zur Lösung der anstehenden Probleme resp. Aufgaben beitragen. Für unsere Stadt, unser Land  und unseren Planeten. Dazu gehört auch kritisches Denken. Die Diagnosen, Ursachen und therapeutischen Möglichkeiten sind in vielen Fällen bekannt. Das Spektrum der jeweiligen Prognosen reicht wohl von gut über zweifelhaft bis ungünstig. Die aktuelle Corona-Krise zeigt, dass Einsicht und Eigenverantwortung der Bürger*innen allein wohl nicht genügen, um den grossen Herausforderungen zu begegnen. Nationale und internationale Koordination, Bestimmung von sinnvollen Massnahmen und damit verbunden ein gewisser Druck sind wohl unumgänglich, um die wesentlichen  Probleme unseres Planeten  wenigstens teilweise zu lösen. Die kommenden Jahre und Jahrzehnte könnten wohl zu den bedeutendsten unserer Geschichte werden. Im Glauben an die Innovationskraft der Menschheit und mit der Hoffnung  auf die  Anpassungsfähigkeit der Natur bleibt wohl nur, in Anlehnung an Angela Merkel,  ein schon fast trotziges „Wir schaffen das“.

Christoph Salm

P.S.: Diese Zeilen sind persönliche Gedanken und wohl Ergebnis der oben beschriebenen medialen Einflüsse. Sie geben eine Gefühlslage und persönliche Meinungen wieder. Dafür nutze ich jetzt  das Internet, weil mir dieses auf einfache Weise eine  Publikationsmöglichkeit bietet. Niemand hat den Text redaktionell bearbeitet, dies impliziert die Möglichkeit von Fehlbeurteilung.

 

Dezember 2020

 

 

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